
Wenn Patienten mit Krebs einen Rückfall erleiden, helfen die üblichen Medikamente oft nicht mehr. Um neue Behandlungsmöglichkeiten zu finden, arbeitet das Forschungsteam um Prof. Sina Oppermann mit echten Tumorproben der Patientinnen und Patienten. Daraus werden im Labor spezielle Zellmodelle entwickelt – darunter auch kleine, dreidimensionale Mini-Tumore sowie komplexe Ko-Kulturen aus Krebs- und Immunzellen. Diese werden im Anschluss schnell gegen eine Vielzahl von über 100 verschiedenen Wirkstoffen getestet. So kann das Team herausfinden, gegen welche Mittel der Tumor unempfindlich ist – und welche vielleicht noch wirksam sein könnten.
Die Auswertung erfolgt über eine spezielle bildbasierte Methode: „Auf unserer mikroskopie-basierten Plattform können wir die Wirksamkeit verschiedener Therapeutika auf die patienteneigenen Krebszellen in kürzester Zeit testen. Dazu werden die Tumorzellen nach Behandlung mit den Wirkstoffen mit verschiedenen Farbstoffen angefärbt. Davon machen wir hochauflösende farbkodierte Bilder, die wir dann auswerten um für jeden einzelnen Patienten die bestwirksamste Therapie zu finden. In der Kombination mit weiteren Daten zu den Tumorzellen, die wir in Kooperation mit den klinischen Gruppen erhalten, können wir diesen Ansatz nutzen um neue zielgerichtete Therapien für Patienten mit Krebserkrankungen zu finden“, erklärt Oppermann.
Um sich das Prinzip vereinfacht klarzumachen, auf dem die Forschung der Pharmazie-Professorin Sina Oppermann beruht, braucht man nur an eine Fußgänger-Ampel zu denken. Oppermanns Ziel ist es letztlich nämlich, die Krebszellen abzutöten. Durch die verschiedenen Fluoreszenzfarbstoffe können wir sehr klar zwischen toten und lebenden Zellen unterscheiden: vereinfacht – Zellen die rot leuchten sind lebend, Zellen die vermehrt ein grünes Signal zeigen sind tot. Je mehr grüne Zellen wir sehen, desto wirksamer war also der Wirkstoff.“ Sind unter dem Mikroskop hingegen überwiegend rot fluoreszierende Zellen zu sehen, dann bedeutet das, die Krebszellen leben noch, das Medikament wirkt nicht so wie erhofft, die Suche muss weitergehen.
Vielzahl an Merkmalen
Das Verfahren ist jedoch nicht ganz so trivial, wie es scheint: Neben der Unterscheidung zwischen rot und grün untersucht die Gruppe eine Vielzahl (mehrere 100) weiterer Merkmale, die sich im individuellen „Phänotyp“ der Krebszellen erkennen lassen. Jeder Wirkstoff hinterlässt einen eigenen Fingerabdruck auf den Zellen. „Wir vergleichen die Reaktion der einzelnen unterschiedlichen Zellen auf die verschiedenen Wirkstoffe, aber auch die Wirkstoff-Profile an sich“, erläutert Oppermann. Allein die Anschaffung des Kerngerätes–ein hochauflösendes automatisiertes konfokales Spinning-Disk Mikroskop, welches in hoher Geschwindigkeit eine Vielzahl von Faktoren in den Proben misst–war ein Millionenprojekt. Oppermann gelang es hierzu Mittel über die Rolf. M. Schwiete Stiftung erfolgreich einzuwerben und kann so die Plattform mit Unterstützung des GSH am Standort Frankfurt aufbauen.
Die Plattform kommt vor allem Patienten:innen zugute, die auf der Suche nach einer wirksamen Krebstherapie schon manchen Rückschlag hinnehmen mussten: „Das sind Patienten, bei denen sämtliche Therapien, die für ihre Krebsart zugelassen sind, letztlich wirkungslos geblieben sind“, erläutert Oppermann, „der Krebs ist immer wieder zurückgekommen, die Patienten sind also austherapiert.“ Sie und ihre Arbeitsgruppe versuchten dann ergänzend zu den genomischen Untersuchungen, diesen Patient:innen gewissermaßen als letzten Hoffnungsschimmer eine experimentelle Therapie über die funktionellen Testungen zu identifizieren.
Als Motivation für ihre experimentelle Herangehensweise nennt Prof. Oppermann ihr wissenschaftliches Interesse: „Wir stellen uns die Frage, warum eine bestimmte Krebstherapie bei Patient A anschlägt, bei Patientin B jedoch nicht. Obwohl wir durch genomische Untersuchungen bereits viele neue Therapien auf dem Markt haben, ist das Ansprechen darauf sehr individuell. Das erfordert neue Wege, wir müssen die Krebstherapien weiter verbessern, und zwar für den individuellen Patienten“. Deshalb setzt die Forschungsgruppe funktionelle Medikamententestungen an Patienten eigenen Krebszellen ein. „Mit unserer Hochdurchsatztechnologie können wir eine Vielzahl (mehr als 100 Wirkstoffe in unterschiedlichen Dosierungen) von bereits zugelassen aber auch neuen Wirkstoffen direkt an den Tumorzellen auf Wirksamkeit im Labor testen. Die daraus gewonnenen Ergebnisse erlauben uns, für jeden Patienten ein individuelles Profil zu erstellen, aus welchem wir das Therapieansprechen aber auch Resistenzen ablesen können.“ Darüber hinaus werden die funktionellen Daten im Anschluss mit Informationen zu genetischen Veränderungen (z. B. Mutationen, Genfusionen) integriert und verglichen. Auch Informationen zu Veränderungen in Proteinen werden mit einbezogen. Ziel hier ist mögliche Biomarker für das Ansprechen der Therapien zu identifizieren und diese für spätere klinische Studien nutzen zu können. Für die Auswertung der enorm großen Datenmengen, entwickelt die Arbeitsgruppe Oppermann Analysetools, bei denen auch künstliche Intelligenz eine große Rolle spielt. Ihr wissenschaftliches Interesse ist allerdings nicht Selbstzweck: „Je genauer wir wissen, was in den Krebszellen eines individuellen Patienten vor sich geht, desto näher sind wir daran, diese Krebszellen unschädlich zu machen und somit die bestmögliche Therapie für den jeweiligen Patienten zu finden „, folgert Oppermann.
Früher Berufswunsch: Pharmazie oder Medizin
Dieses Bestreben, durch die eigene Arbeit dazu beizutragen, neue Therapien entwickeln und damit neue Hoffnung für insbesondere krebskranke Patienten geben zu können, begleitet sie schon sehr lange: „Als Schülerin haben mich Biologie und Chemie begeistert, und in der 9. Klasse habe ich ein Praktikum in der Apotheke gemacht, und spätestens danach war mir klar, dass mein Weg in Richtung Medizin oder Pharmazie führt „, erzählt sie. Schließlich studierte sie an der Goethe Universität Pharmazie und ist blieb mit der Pharmazie seit her eng verbunden und etablierte sich als klinische Pharmazeutin. In ihrer Promotion im Fach Pharmakologie und klinische Pharmazie an der Phillipps-Universität Marburg ging es für sie bereits darum, Wirkstoffe zu testen – damals allerdings noch solche gegen neurologische Störungen wie Alzheimer und Schlaganfälle.
Die Wendung zur Onkologie folgte in ihrem Postdoc: sie ging zunächst für einen zweijährigen Forschungsaufenthalt an das renommierte Sunnybrook Research Institut (SRI) in Toronto Kanada, welches experimentelle Forschung mit direkter klinischer Translation verbindet. Dort baute Sie ihre Erfahrung in der Wirkstofftestung aus und etablierte ein bildbasiertes (mikroskopisches) multidimensionales Verfahren zur Wirkstofftestung an Krebszellen von Leukämiepatienten. Über ein Forschungsstipendium kehrte Sie nach Deutschland zurück und setzte ihre Arbeiten im Bereich der Leukämie am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und nationalem Tumorzentrum (NCT) in Heidelberg fort. Ihren Ansatz weitete sie auf den Bereich der kindlichen Krebserkrankungen am Kindertumorzentrum (KiTZ)/ DKFZ, Heidelberg aus, wo sie zuletzt fünf Jahre als Gruppenleiterin für translationale pädiatrische Pharmakologie tätig war. Innerhalb dieser Zeit war sie als wissenschaftliche Koordinatorin Mitgründerin des internationalen COMPASS Konsortium (ERA PerMed, BMBF/DLR Förderung) in welchem sie bis heute mit Partnern aus Finnland, Niederlande, Frankreich und Australien kooperiert, um funktionale Wirkstofftestungen für die direkte klinische Anwendung auf internationaler Ebene zu standardisieren als „Wegweiser“ für neue Therapien für krebskranke Kinder. Im Februar 2024 wurde Frau Oppermann an ihre Alma Mata, für eine Professur in der Klinischen Pharmazie an die Goethe-Universität berufen.
Neben ihrer Professur für Pharmazie am Fachbereich 14 der Goethe-Universität, leitet Oppermann die Gruppe für funktionale Präzisionsonkologie am Georg-Speyer-Haus (GSH), Frankfurt und ist mit dem Frankfurt Cancer Institut (FCI) affiliiert, was die Wichtigkeit ihrer Translationalen Forschung an der Schnittstelle zwischen Pharmazie und Medizin verdeutlicht. Durch die engen Kooperationen und Projekte wollen wir gemeinsam mit FB14, FB16 und dem GSH das interdisziplinäre Zusammenarbeiten stärken und die Translationale Krebsforschung in Frankfurt stärken.
Aufbau einer Trainingsapotheke
Schon von Heidelberg aus hatte sie zeitweise als externe Dozentin die Frankfurter Studierenden in Pharmakologie und klinischer Pharmazie unterrichtet, und seitdem liegt ihr die Lehre ganz besonders am Herzen: „Ich sehe mich in der Verantwortung, unsere Studierenden für ihr Berufsleben auszubilden, nicht nur als Pharmazeuten, sondern auch als Apotheker“, sagt sie – und geht dabei auch neue Wege: Neben der Etablierung eines virtuellen Apothekentools (MyDispense), hat sie mit ihrer Arbeitsgruppe für die Studierenden des siebten und achten Semesters ein pharmazeutisches Skills lab (Präsenz-Trainingsapotheke) aufgebaut, in der die angehenden Apotheker in einer nahezu realistischen Umgebung üben können, verschiedene Patientenfälle auf Medikationsfehler und Arzneimittelbezogene Probleme zu analysieren aber auch ihre Kompetenzen in der Kommunikation und Beratung von Patienten und Ärzten auszubauen. „Hier üben die Studierende nicht nur ihr komplexes Wissen realitätsnah anzuwenden, sondern auch auf interdisziplinärer Ebene kommunizieren zu können“, betont Oppermann.
Interdisziplinäre Arbeit, Kooperationen und Kommunikation sind aber nicht nur in der Lehre, sondern auch für ihre Forschung entscheidend: „Unsere Arbeit ist höchst interdisziplinär und translational an der Schnittstelle der Fachbereiche Pharmazie und Medizin. Wir arbeiten eng mit Kollegen der Medizin zusammen, bekommen unsere Tumorproben zum einen aus Biobanken aber auch direkt aus dem OP Saal. Die enge Kooperation mit Ärzten*innen ist für uns entscheidend, um neue Therapien entwickeln zu können, wir stimmen uns ab für die zu testenden Wirkstoffe aber auch für die Modellentwicklungen und insbesondere für den direkten Transfer unserer Erlebnisse zurück in die Klinik – zum Patienten. Hierzu wollen wir die interdisziplinären Tumorboards weiter ausbauen und planen vielseitige gemeinsame Projekte zwischen den Fachbereichen. „, sagt Oppermann. Und weil viele Krebsarten per se seltene Krankheiten seien, müsse sie mit anderen Gruppen zusammenarbeiten, um statistisch aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten: „Deswegen kooperieren wir nicht nur lokal, sondern bundesweit in Onkologie-Konsortien und international beispielsweise mit Stockholm, Helsinki, Zürich – und eben Toronto.“
Stefanie Hense